Reise nach Sankt-Petersburg vom 05.06. - 10.06.2017
Ein als Literaturreise geplanter Besuch in St. Petersburg der an logistischen Problemen scheiterte, führte dennoch in die Stadt an der Neva. S. Nekrasov, der Direktor der Puschkin Museen in St. Petersburg und Zarskoje Selo, lud uns zum Puschkin Festival ein, einem Veranstaltungsreigen, der alljährlich im Rahmen der Feiern zu Puschkins Geburtstag - in diesem Jahr der 218. - stattfindet.
Für die Veranstalter war die deutsche Präsenz besonders wichtig, weil, sie zeigen konnte, dass eine solide Grundlage europäischer Kultur vorhanden ist, die auch in politisch schwierigen Zeiten Signale des Vertrauens aussendet und verbindende Wertvorstellungen vermittelt. Hinzukam eine spezifisch russische Präferenz, Spirituelles mit physischer Präsenz zu verbinden. Sie ist ein byzantinisches Erbe, das sich in der rituellen Praxis der Orthodoxie auch dem Fremden unschwer erschließt und sich im Weltlichen in der herausgehobenen Bedeutung der Nachkommen russischer historischer Persönlichkeiten manifestiert. Deshalb ist es für unsere Gesellschaft ein Glücksfall, dass wir in unseren Reihen Nachkommen Puschkins wissen.
Mit der Vorsitzenden unserer Gesellschaft, Clotilde von Rintelen, Puschkins Ururenkelin und Urenkelin Zar Alexanders II., folgten D. Stüdemann und H. Lutz der Einladung.
Ihr waren auch Alexander Puschkin, letzter in Belgien lebender männlicher Namensträger aus der Linie des Dichters und seine Frau Nadja gefolgt sowie auch Nikolaj Danilevskij, der nicht nur Nachkomme Puschkins sondern auch mit Gogol direkt verwandt ist.
Sie alle standen im Zentrum der musikalisch/literarischen Gedenkveranstaltung am 6. Juni im Hof von Puschkins letzter Wohnstätte an der Moika. Clotilde von Rintelen sprach von der Rückkehr ihrer Familie nach der Öffnung Russlands, ihrer Annäherung an eine Welt, die sie vorher nicht kannte, in der sie sich dann aber sehr bald angenommen fühlte mit Worten der Dankbarkeit an die zahlreich versammelten Petersburger. Eine private Führung der Kuratorin G. Sedova durch Puschkins Wohnung mit einer Fülle von Detailinformationen über Familie und Epoche, die im touristischen Besuchsablauf fehlen, schloss sich an, einprägsam getragen von der russischen Vorliebe für das Anekdotische.
Am Abend des 6. Juni eine literarisch/musikalische Soiree mit dem Titel „Puschkin und der Zar“ im benachbarten Konzertsaal, der ehemaligen kaiserlichen Kapelle. Für den Kenner die frappierende Nähe zu unserem literarischen Konzertprogramm „Der Dichter und die Macht; Variationen eines russischen Themas“ von 2015, das im Februar 2017 anlässlich Puschkins Todestag das russische Publikum in Michajlovskoje, dem Begräbnisort des Dichters, erlebte. Im Konzert in der „Kapella“ stellte eine zusätzliche Videoprojektion das familiäre Beziehungsgeflecht Puschkin - Romanov in den optischen Vordergrund und damit die Nachkommenschaft von Puschkins jüngster Tochter Natalia, Clotilde von Rintelens Urgrossmutter, die über ihre Kinder zweimal die Verbindung zur kaiserlichen Familie herstellte.
Am 8. Juni Einladung nach Zarskoje Selo, in das in einem Seitenflügel des Katharinenpalastes untergebrachte kaiserliche Lyzeum. Anlass war der 200. Jahrestag der Verabschiedung des ersten Lyzeumsjahrgangs, zu dem Puschkin gehörte. Im wissenschaftlichen Teil sprach auch Clotilde von Rintelen, gestützt auf ihre Expertise als Psychiaterin aber auch ihre eigenen persönlichen Erfahrungen über die Frage unter welchen Bedingungen Internatserziehung zur Persönlichkeitsbildung damals und heute beiträgt. Eindrucksvoll auch eine Reihe anderer Beiträge wie z.B. zur Mythenbildung um das Lyzeum. Besonders herausragend der Vortrag einer Gymnasiallehrerin zur politischen Prägung Puschkins durch seine „Göttinger“ liberalen Lehrer mit der Aufforderung, dass auch heute die junge Generation ihren Platz in der „Res Publica“ mit der Übernahme von Verantwortung ausfüllen möge. Abendempfang im Lyzeumsgarten. Von der benachbarten Lyzeumskirche erklang zur halben Stunde ein Glockenspiel mit der Zarenhymne, ein anrührender aber auch melancholisch stimmender Versuch, das Verlorene wieder erstehen zu lassen.
Die restliche Zeit ausgefüllt mit ausgedehnten, auch langen nächtlichen Spaziergängen durch die Stadt, die sich den „weißen Nächten“ mit deren die Phantasie beflügelnden Wirkungen gerade zu öffnen begann.